Jeden Tag ein Antrag: PA001 – Transparenzpaket: Lobbyismus, Antikorruption und Sponsoring
by el_kartono • 9. November 2012 • BPT2012.2 - Jeden Tag ein Antrag, Piraten • 0 Comments
Meine Meinung dazu:
Was gut ist:
Alles 🙂 Ich habe hier keine wesentlichen Mängel entdecken können. Die Gedankengänge sind vollständig, unaufgeregt und aus meiner Sicht vollständig nachvollziehbar. Dieser Antrag könnte eine echte Bereicherung für das Wahlprogramm darstellen.
Den absoluten Matchpoint hat folgender Paragraph aus dem Antrag bei mir gemacht:
Die Piratenpartei Deutschland erkennt die Rolle von Nebentätigkeiten für den beruflichen Wiedereinstieg nach
der Zeit des Abgeordnetenmandats an – insbesondere für Freiberufler und persönlich haftendende Geschäfts-
führer von kleinen Kapitalgesellschaften. Allerdings wird Wählern derzeit die Abwägung, ob und inwieweit
sich Abgeordnete auf Grund ihrer Nebeneinkünfte in einem Interessenkonflikt befinden, durch intransparente
Regelungen und Schlupflöcher erschwert bis unmöglich gemacht.
<nonsens>ich fand den Begriff „Schnittchenklausel“ unglaublich interessant. Ob es dann wohl auch einen Häppchenparagraphen gäbe ? ^^</nonsense>
Was schlecht ist:
Nichts.
Antragstext:
[1] Es wird beantragt, im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 an geeigneter Stelle folgendes zu den Themen-
feldern politische Transparenz und Antikorruption einzufügen:
[2] Einflussnahme auf politische Entscheidungen offenlegen
[3] Die Piratenpartei Deutschland fordert die Offenlegung der Einflussnahme von Interessensverbänden und Lob-
byisten auf politische Entscheidungen, um den demokratischen Prozess zu schützen und die Grundlagen von
Entscheidungen transparent zu machen.
[4] Um die Unabhängigkeit von Bundestagsabgeordneten und Regierungsmitglieden gegenüber illegitimer Ein-
flussnahme zu stärken, strebt die Piratenpartei die Umsetzung der folgenden Maßnahmen in den Bereichen
Transparenz politischer Prozesse, Parteienfinanzierung, Nebentätigkeiten von Abgeordneten und Strafbarkeit
von Abgeordnetenbestechung an:
[5] 1. Einrichtung eines Lobbyregisters für den Deutschen Bundestag
[6] Die Piratenpartei Deutschland erkennt die Konsultation von Interessenvertretern – z.B. Nichtregierungsorga-
nisationen, Gewerkschaften, Umweltschutz-, Bürgerrechts- und Unternehmensverbänden – als integralen Be-
standteil des politischen Willensbildungsprozesses der Gesellschaft an – solange dieser Austausch hinreichend
offen und transparent ist. Die überproportionale Einflussnahme einzelner Gruppen durch die Verlagerung der
politischen Willensbildung in informelle Beziehungsnetzwerke außerhalb des formalen Gesetzgebungsprozes-
ses, lehnen wir ab.
[7] Die Piratenpartei fordert ein Lobbyregister für den Bundestag, in das sich Interessenvertreter und Interessenver-
tretungen verpflichtend eintragen müssen, um einen Hausausweis zu erhalten und die Möglichkeit zu bekom-
men, bei Gesetzesvorhaben durch den Deutschen Bundestag angehört zu werden.
[8] Ein solches Register soll zunächst in der Anlage 2 zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Regi-
strierung von Verbänden und deren Vertretern) verankert werden und die existierende „Öffentliche Liste über
die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern“ ersetzen. Es muss Aussagekraft hinsichtlich Budget,
Tätigkeitsbereich, Anzahl und Namen der tätigen Personen und – bei freiberuflichen Interessenvertretern, Lob-
byagenturen, Anwaltskanzleien und Denkfabriken – Mandanten und Auftraggeber enthalten. Alle Angaben
müssen regelmäßig aktualisiert und falsche oder überholte Daten unverzüglich berichtigt werden.
[9] Der Präsident des Bundestages soll bis auf weiteres das Register führen und als Kontrollinstanz sicherstellen,
dass die Angaben wahrheitsgemäß sind und die Einträge regelmäßig aktualisiert werden. Er muss externen Be-
schwerden von natürlichen und juristischen Personen über Verstöße konsequent nachgehen, bei Verdachtsfällen
eigenständig Untersuchungen einleiten und jährlich einen Bericht veröffentlichen, der die Untersuchungsergeb-
nisse abgeschlossener Verfahren enthält. Beschwerdeführer und -gegner sollen eine Überprüfung der Entschei-
dung beantragen können.
[10] Verstöße gegen Anzeigevorschriften und Fristen müssen mit Bußgeldern und weiteren Sanktionsmöglichkeiten
geahndet werden – bis hin zur Erfassung auf einer schwarzen Liste bei besonderer Schwere des Fehlverhaltens.
[11] Aus Transparenzgründen soll ein solches Register auf der Internetseite des Bundestages veröffentlicht werden.
Es muss maschinenlesbar gestaltet sein, um im Sinne von OpenData die Verknüpfung mit Abgeordneten- und
Abstimmungsdaten zu ermöglichen und um Sortier- und Durchsuchbarkeit sicherzustellen.
[12] Es soll geprüft werden, ob die Führung und Kontrolle des Registers mittelfristig an eine unabhängige öffentliche
Institution, z.B. den Bundesrechnungshof oder den den Bundesbeauftragen für Datenschutz und Informations-
freiheit übertragen sowie die weitere Ausgestaltung durch ein eigenes Bundesgesetz geregelt werden kann.
[13] 2. Erweiterung und Verschärfung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung
[14] Die Piratenpartei Deutschland fordert klare und umfassende Regelungen zum wirksamen Vorgehen gegen Ab-
geordnetenbestechung, um die Rechtslage an den globalen Mindeststandard der von Deutschland bereits 2003
unterzeichneten, aber mangels Umsetzung in deutsches Recht immer noch nicht ratifizierten UN-Konvention
gegen Korruption (UNCAC) anzupassen und Deutschlands internationale Schlusslichtrolle bei der Korrupti-
onsstrafbarkeit von Abgeordneten zu beenden.
[15] Der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung soll dem für die Bestechung von Amtsträgern (§ 334 StGB)
angenähert werden. § 108e StGB (Abgeordnetenbestechung) muss dahingehend überarbeitet werden, dass nicht
nur der direkte Stimmenkauf und -verkauf berücksichtigt wird, sondern auch die Vorteilsannahme und –gewäh-
rung in anderen Fällen der Mandatswahrnehmung oder meinungsbildender Funktionsausübung im parlamen-
tarischen System. Die Neufassung muss auch immaterielle Versprechen erfassen und der Straftatsbestand auf
die Vorteilsannahme oder –Gewährung Dritter sowie Vorteile, die nach der Handlung bzw. dem Unterlassen
gewährt oder angenommen werden, ausgeweitet werden.
[16] Die Annahme von Spenden durch einzelne Abgeordnete muss durch eine Änderung des § 44a, Abs. 2 des Ge-
setzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz) untersagt
werden.
[17] Eine Bagatellregelung („Schnittchenklausel“) für die Bewirtung bei parlamentarischen Abenden und anderen
Veranstaltungen sowie Ausnahmeregelungen für Zuwendungen im Rahmen von normalem parlamentarischen
Verhalten („parlamentarische Gepflogenheiten“) sollen sicherstellen, dass die Abgeordneten nicht in der freien
Ausübung ihres Mandats eingeschränkt werden. Sowohl die Schnittchenklausel als auch die parlamentarischen
Gepflogenheiten sollen in einer Anlage zur Geschäftsordnung des Bundestages verankert und durch den Bun-
destagspräsidenten in einer Ausführungsbestimmung festlegt werden.
[18] 3. Verschärfung der Transparenz- und Nebeneinkunftsregeln von Abgeordneten
[19] Die Piratenpartei Deutschland erkennt die Rolle von Nebentätigkeiten für den beruflichen Wiedereinstieg nach
der Zeit des Abgeordnetenmandats an – insbesondere für Freiberufler und persönlich haftendende Geschäfts-
führer von kleinen Kapitalgesellschaften. Allerdings wird Wählern derzeit die Abwägung, ob und inwieweit
sich Abgeordnete auf Grund ihrer Nebeneinkünfte in einem Interessenkonflikt befinden, durch intransparente
Regelungen und Schlupflöcher erschwert bis unmöglich gemacht.
[20] Die Piratenpartei fordert eindeutige Aussagen zur Höhe der Nebeneinkünfte von Abgeordneten des deutschen
Bundestages sowie die Identifizierung möglicher Interessenkonflikte und Abhängigkeiten – dies ist nach dem
aktuellen Stand des Abgeordnetengesetzes und der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages derzeit nicht
möglich.
[21] Wir stellen fest, dass sich gerade der Bereich ’Funktionen’ in Unternehmen, Vereinen, Verbänden und Stiftungen
zu einem massiven Problem ausgeweitet hat. Unternehmen und Lobbyverbände kaufen sich insbesondere mit
Beiratsmandaten bei Abgeordneten ein. Diese sind in der Regel durch hohe Aufwandentschädigungen und
Sitzungsgelder erheblich attraktiver als entgeltliche Nebentätigkeiten – bei gleichzeitig geringerem zeitlichen
Aufwand.
[22] Wir fordern daher eine Verschärfung der Transparenz- und Nebeneinkunftsregeln in der Anlage 1 zur Geschäfts-
ordnung des Deutschen Bundestages (Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages) sowie im
zehnten Abschnitt des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Ab-
geordnetengesetz). Dazu gehören die Verpflichtung, auch einmalige oder regelmäßige monatliche Einkünfte
unter EUR 1000,- angeben zu müssen, sowie die Beendung der Verschleierung der tatsächlichen Einkünfte
der Bundestagsabgeordneten über Stufenangaben. Stattdessen müssen die Abgeordneten verpflichtet werden,
den tatsächlichen wirtschaftlichen Gewinn aus einer Tätigkeit auf den Cent genau anzugeben. Rechtsanwälte
sollen, mit Rücksicht auf den Schutz ihrer Mandanten, zumindest angeben müssen, aus welcher Branche ihre
Auftraggeber kommen. Eine Veröffentlichung der Identität von Mandaten soll mit Einwilligung möglich sein.
[23] Da die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit der Bundestagsabgeordneten steht, soll die ma-
ximale Anzahl der Funktionen in Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräten oder sonstiger Gremien durch eine
entsprechende Änderung der Verhaltensregeln und des Abgeordnetengesetzes begrenzt werden, damit die Ab-
geordneten ihrer primären Tätigkeit gewissenhaft nachkommen können.
[24] Verstöße gegen Verhaltensregeln und Anzeigepflichten müssen u.a. durch höhere Ordnungsgelder als bisher
geahndet werden.
[25] Nebeneinkünfte, Aufwandsentschädigungen und geldwerte Vorteile sowie Auftraggeber müssen unmittelbar
nach Erhalt maschinenlesbar über den Bundestagspräsidenten veröffentlicht werden, um die Daten mit dem
Lobbyregister und dem Abstimmungsverhalten in Plenum und Ausschüssen verknüpfen zu können.
[26] 4. Eindämmung des politischen Sponsorings
[27] Die Piratenpartei Deutschland lehnt die intransparente Finanzierung von politischen Veranstaltungen durch
Sponsorengelder ab. Verbände und Unternehmen versuchen über Sponsorenengagements auf Parteitagen so-
wie Sommerfesten von Regierungsbehörden die vergleichsweise strengeren Auflagen für Parteispenden zu
umgehen und sich über die Anmietung von Standflächen Zugang zu Entscheidungs- und Mandatsträgern zu
verschaffen.
[28] Die Piratenpartei fordert die Ergänzung des Parteiengesetzes um eine Anzeigepflicht für politisches Sponso-
ring, um die Praxis der indirekten Unternehmenszuwendungen an Parteien, Bundes- und Landesregierungen zu
beenden und, um direkte Zurechenbarkeit zwischen Sponsoring und politischem Handeln herzustellen. Spon-
sorengelder müssen in Zukunft in den Rechenschaftsberichten der Parteien unter Angabe der Höhe namentlich
aufgeführt werden, damit ihre Herkunft nicht wie bisher als Veranstaltungseinnahmen verschleiert werden kann.
[29] Um die Alimentierung der politischen Einflussbemühungen von Unternehmen über Steuermittel zu beenden,
müssen Sponsoring und direkte Spenden von Unternehmen zukünftig gleichbehandelt und die steuerliche Ab-
setzbarkeit von Sponsoringaufwendungen durch juristische Personen abgeschafft werden.
[30] Veranstaltungen der Bundesregierung, der Landesvertretungen der Bundesländer, sowie des Deutschen Staats-
oberhauptes sollen anstatt über Sponsorengelder aus Haushaltsmitteln finanziert werden, damit der Anreiz für
die Haushaltsausschüsse der Parlamente steigt, die Sinnhaftigkeit von opulenten Sommerfesten genauer als
bisher zu prüfen.
[31] 5. Einführung von Karenzzeiten für Spitzenpolitiker
[32] Die Piratenpartei Deutschland lehnt es ab, dass ausgeschiedene Spitzenpolitiker im Bereich ihrer ehemaligen
Zuständigkeiten kurzfristig Tätigkeiten der politischen Interessenvertretung für Unternehmen und Verbände
übernehmen.
[33] Damit Mandatsträgern und Regierungsbeamten weniger Anreiz haben, ihr politisches Handeln von den Inter-
essen möglicher zukünftiger Arbeitgeber abhängig zu machen, fordert die Piratenpartei die Einführung von
Sperrfristen (sogenannten „Karenzzeiten“) für Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretäre, Staatsminister
und leitende Regierungsbeamte, sofern dem kein höherrangiges Recht entgegensteht.
[34] Sperrfristen müssen für die Politikfelder gelten, für die Entscheidungsträger in ihrer bisherigen politischen
Funktion zuständig waren, und bei denen es Zusammenhänge zwischen den im Amt getroffenen Entscheidun-
gen und der nach dem Ausscheiden beabsichtigten Tätigkeit geben könnte.
[35] Die Sperrfrist muss für Amts- und Mandatsträger in Bund und Ländern grundsätzlich mindestens ein Jahr
betragen und durch eine unabhängige Stelle ausgesprochen, geprüft und überwacht werden. Die Karenzzeit
soll in Fällen besonders schwerer Interessenskonflikte auf bis zu drei Jahre ausweitet werden können. Darüber
hinaus soll eine dreijährige Anzeigepflicht eingeführt werden, die sich an §42a Beamtenrechtsrahmengesetz
und §69a Bundesbeamtengesetz orientiert.
[36] Zu diesem Zweck soll die Stelle eines unabhängigen Bundesbeauftragten für Ethik und Antikorruption geschaf-
fen werden, der der Dienstaufsicht des BMI und der Rechtsaufsicht der Bundesregierung untersteht, jedoch
keiner Fachaufsicht unterliegt. Dieser muss Verstöße gegen Anzeigevorschriften und Karenzzeiten mit öffent-
lichen Rügen und Bußgeldern ahnden und von einem ebenfalls einzurichtenden, aus Abgeordneten des Deut-
schen Bundestages, Zivilgesellschaft und Wirtschaft paritätisch besetzten, Bundesethikrat beraten werden, der
die angezeigten, geplanten Tätigkeiten beurteilt und gegenüber dem Bundesbeauftragten öffentliche Empfeh-
lungen ausspricht.
Begründung
[37] Die Piratenpartei Deutschland fordert im Grundsatzprogramm unter dem Punkt „Transparenz des Staatswe-
sens“ den Schutz des demokratischen Prozesses vor der Ausbildung von Machtstrukturen, die wenige Personen
oder Organisationen bevorzugen und hat es sich zum Ziel gesetzt, die Grundlagen politischer Entscheidungen
transparent zu machen.
[38] Der vorliegende Antrag leitet aus diesen programmatischen Eckpunkten für das Programm zur kommenden
Bundestagswahl konkrete Forderungen für die Reformierung des politischen Betriebes auf Bundesebene ab
und skizziert diese hinreichend datailliert und allgemein verständlich.
[39] Die hier im “Transparenzpaket Lobbyismus, Antikorruption und Sponsoring“ formulierten Forderungen stel-
len eine Weiterentwicklung und Ergänzung der Anträge PA160 (Transparenz von Lobbyismus und politischer
Interessenvertretung) und PA161 (Ablehnung von entgeltlichen Tätigkeiten neben Mandaten in Vollzeitparla-
menten) vom BPT 2011.2 in Offenbach dar, die dort leider aus Zeitgründen nicht mehr behandelt wurden.
[40] Einige weitere Punkte wurden aus dem Positionspapier zum §108e, dem Positionspapier zu Transparenz und
Korruptionsbekämpfung in der Politik sowie dem erfolgreichen Berliner Antrag ’Keine Promotionsstände auf
Landesmitgliederversammlungen’ übernommen.
[41] Die konkrete Ausgestaltung des Registers orientiert sich in einigen Punkten an der Initiative „Transparenz bei
Lobbyarbeit – Ein öffentlich einsehbares Lobbyregister für Berlin“ aus dem Berliner Landesliquid, auch mit
Ausblick auf die Übergabe an eine unabhängige Stelle.
[42] Die vorgeschlagenen Regeln zur Karenzzeit von Spitzenpolitikern weichen leicht von den in 2010 in WP087
formulierten Forderungen ab, um diese praxisnaher und weniger bürokratisch zu gestalten.
Der vorliegende Antrag wird flankiert durch den Satzungsänderungsantrag SÄA001 “Kein Spon-
soring und keine Werbestände auf Bundesparteitagen der PIRATEN“, der die hier formulierten
Maßstäbe auf die Piratenpartei und damit uns selbst anwendet.